Aktien – 16.08.21
Unserem Planeten geht es nicht gut. Und es könnte ihm – und damit auch der Menschheit – in Zukunft noch deutlich schlechter gehen, wenn sich nicht bald etwas daran ändert, wie wir unsere Erde bewirtschaften. Dazu gehört zuallererst, die Treibhausgasemissionen schnell und drastisch zu reduzieren, wie es der Weltklimarat IPCC in seinem Anfang August veröffentlichten Sechsten Klimabericht fordert. Aber auch darüber hinaus ist ein verantwortungsvollerer Umgang mit den Ressourcen unserer Erde dringend notwendig. In beiderlei Hinsicht kommt den Meeren, die rund 71 Prozent der Erdoberfläche bedecken und 97 Prozent der weltweiten Wasserressourcen beinhalten, eine wichtige Bedeutung zu.1
Zum einen regulieren die Ozeane aktiv das Klima, zum Beispiel indem sie Wärme aufnehmen und gleichmäßig wieder an die Atmosphäre abgeben: Würde die in den Ozeanen gespeicherte Wärme auf einen Schlag in die Atmosphäre entweichen, stiege die globale Durchschnittstemperatur um fast 56 Grad Celsius an und die Erde würde unbewohnbar.2 Zudem speichern die Ozeane große Mengen Kohlendioxid (CO2), das von Algen in lebensnotwendigen Sauerstoff verwandelt wird. Nach Angaben der US-Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA nehmen die Ozeane 30 Prozent der globalen CO2-Emissionen auf und produzieren 50 Prozent des weltweiten Sauerstoffs.3
Zum anderen dienen die Meere den Menschen seit jeher als wichtige Nahrungs- und Erwerbsgrundlage. Neben Nahrungsmitteln kommen aus dem Meer zum Beispiel wichtige Inhaltsstoffe für Arzneimittel. Eine große Bedeutung haben die Ozeane und ihre Küsten auch für die Tourismus- und Freizeitindustrie. Hinzu kommt, dass 90 Prozent des Welthandels über den Seeweg erfolgen.4 Alles in allem hängt die wirtschaftliche Existenz von schätzungsweise drei Milliarden Menschen direkt von unseren Ozeanen ab.5
Umso wichtiger erscheint eine nachhaltigere wirtschaftliche Nutzung dieses Ökosystems. In der Fachwelt hat sich dafür der Begriff „Blue Economy“, zu Deutsch „blaue Wirtschaft“, etabliert. Gemäß der Weltbank entspricht die Blue Economy der „nachhaltigen Nutzung der Meeresressourcen für wirtschaftliches Wachstum, Verbesserung der Lebensgrundlagen und Beschäftigung bei gleichzeitiger Erhaltung eines gesunden Meeresökosystems“. Die Blue Economy umfasst nach dieser Definition vorwiegend Unternehmen, die mit ihrer Geschäftstätigkeit zur Wiederherstellung, dem Schutz oder Erhalt vielfältiger, produktiver und widerstandsfähiger Meeresökosysteme beitragen oder die Verfügbarkeit von sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen fördern. Darüber hinaus zählen dazu auch Unternehmen, deren Ziele indirekt mit der Gesundheit der Meere oder des Wassers in Verbindung stehen. Wichtig: Die Blue Economy sollte hierbei nicht ausschließlich als Ressource angesehen werden, sondern auch als ein komplexes Wirtschaftssystem, das in der Lage ist, Innovation zu generieren, aber auch mit anderen Systemen und Themen verknüpft ist (zum Beispiel dem Klimawandel).
Der World Wide Fund For Nature (WWF) taxiert die Vermögenswerte der Blue Economy auf 24,2 Billionen US-Dollar. Davon entfallen 6,9 Billionen US-Dollar auf direkte Leistungen, etwa aus der Seefischerei, und 17,3 Billionen US-Dollar auf indirekte Leistungen, wie die Bereitstellung von Schifffahrtswegen und produktiven Küstenlinien sowie den Schutz des Klimas durch die CO2-Speicherung. Die wirtschaftliche Wertschöpfung der Blue Economy könnte demnach mindestens 2,5 Billionen US-Dollar pro Jahr betragen. Wäre sie eine eigene Volkswirtschaft, so stünde sie in Bezug auf ihre Größe weltweit an achter Stelle.6
Schätzungen zufolge könnte die Blue Economy bis zum Jahr 2030 doppelt so schnell wachsen wie herkömmliche Volkswirtschaften.7 Der überwiegende Anteil der Investitionen in diesen Bereich stammt bislang aus dem öffentlichen Sektor und wurde auf gesetzlichem Wege eingeführt. Es gibt jedoch zunehmend Forderungen, bei der Finanzierung der nachhaltigen Nutzung der Meeresressourcen stärker auf den privaten Sektor zu setzen, um Innovationen zu gewährleisten. Denn allein die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ozeane könnten 2050 weltweit wirtschaftliche Kosten von 428 Milliarden US-Dollar pro Jahr verursachen; 2100 könnten es schon 1,98 Billionen US-Dollar sein.8
Anleger könnten am Wachstum der Blue Economy partizipieren, indem sie in Unternehmen investieren, die die nachhaltige Nutzung der Meere und den Meeresschutz unterstützen. Zu den Sektoren, die daran beteiligt sein könnten, zählen unter anderem die industrielle marine Aquakultur, der industrielle Fischfang und die industrielle Fischverarbeitung, der Meeres- und Küstentourismus, Schiffbau- und -reparatur, maritime Ausrüster, Hafenaktivitäten, Wassertransport sowie die Offshore-Öl- und -Gasförderung und Offshore-Windenergie. Der erwartete Beitrag dieser Sektoren zur Leistung der Blue Economy könnte sich Studien zufolge von 1,5 Billionen US-Dollar im Jahr 2010 auf 3 Billionen US-Dollar im Jahr 2030 verdoppeln.9 Die Blue Economy betrifft Anleger unmittelbar – sowohl was Chancen, als auch was Herausforderungen anbelangt. Hierbei ist es wichtig zu beachten, dass nicht alle Investitionen nachhaltiger Natur sind. Misserfolge in anderen Entwicklungsbereichen der Vergangenheit sollten sich in Zukunft nicht wiederholen. Einzelne Branchen können zwar kurzfristig einen positiven Effekt aufweisen, langfristig aber der Blue Economy ernsthaften Schaden zufügen. Ein sorgsamer und nachhaltiger Umgang mit den Ozeanen ist somit unabdingbar.
Zudem bestehen Unsicherheiten für private Blue-Economy-Investitionen,
etwa hinsichtlich einer mangelnden Anpassung wirtschaftlicher und steuerlicher Anreize sowie Subventionen an die Bedürfnisse privater Investoren. So erreichten zuletzt nur 16 Prozent der Fischereibeihilfen die nachhaltigere nicht-industrielle Fischerei.10 Zudem gibt es mangels ausreichender Daten und der schieren Größe der Ozeane noch viele Unsicherheiten über deren Zustand und die territoriale Kontrolle von Seegebieten. Nicht zuletzt ist die Messung von konkreten wirtschaftlichen Vorteilen, die Aktivitäten im Rahmen der Blue Economy bieten könnten, oft schwierig.
Wie wichtig Investitionen in die verschiedenen Bereiche der Blue Economy sein könnten, zeigt das Beispiel Trinkwasser. Schätzungen zufolge wird die jährlich verbrauchte Süßwassermenge bis 2050 von heute 4.600 Kubikkilometern um ein Drittel auf 6.000 Kubikkilometer anwachsen. Allein in der Landwirtschaft dürfte der Bedarf schon bis 2025 um 60 Prozent zunehmen.11 Um die Versorgung der Menschheit mit sauberem Trinkwasser sicherzustellen, sind – auch von privater Seite – Investitionen in ressourcenschonende Technologien zur Wassernutzung und -aufbereitung sowie in die Wasserinfrastruktur unerlässlich. Der Wassersektor setzt sich zu etwa 35 Prozent aus klassischen Versorgern zusammen.12 Das sind häufig privatisierte Wasserunternehmen, die Haushalte, Industrie und Landwirtschaft mit Wasser beliefern und die Entsorgung und Aufbereitung von Abwasser übernehmen. Der Rest entfällt auf Zulieferer und Dienstleister, etwa auf Rohrleitungssysteme oder Staudämme spezialisierte Bauunternehmen, Anlagenbauer – zum Beispiel für Anlagen zur Meerwasserentsalzung – oder Unternehmen aus dem Bereich der Wasseranalytik.
Anlegern mit entsprechender Risikobereitschaft könnten sich im Bereich der Blue Economy interessante Investitionsmöglichkeiten erschließen. Grundsätzlich sollte dabei stets auf eine umfassende Diversifikation im Rahmen eines breit gestreuten Wertpapierportfolios über verschiedene Anlageklassen sowie Regionen geachtet werden. Dafür könnte sich zum Beispiel ein Engagement in nachhaltig ausgerichtete Investmentprodukte, welche sogenannte ESG-Kriterien berücksichtigen und sich mit den Themen „Blue Economy“ oder „Wasser“ beschäftigen, anbieten.
1 USGS (2020). How Much Water is There on Earth? Abgerufen über: https://www.usgs.gov/special-topic/water-science-school/science/how-much-water-there-earth?qt-science_center_objects=0#qt-science_center_objects. 29. Oktober 2020;
2 International Chamber of Shipping (2020). Shipping and World Trade. Abgerufen über: https://www.ics-shipping.org/shipping-facts/shipping-and-world-trade. 29. Oktober 2020;
3 NOAA (2020). How much oxygen comes from the ocean? Abgerufen über: https://oceanservice.noaa.gov/facts/ocean-oxygen.html. 29. Oktober 2020;
4 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2019/20190522-maritime-wirtschaft-fit-fuer-die-zukunft-machen.html;
5 Our Ocean (2016). Sustainable Fisheries. Abgerufen über: http://ourocean2016.org/sustainablefisheries. 29. Oktober 2020;
6 WWF (2015). Reviving the Oceans Economy: The Case for Action – 2015;
7 European Commission (2020). The EU Blue Economy Report 2020;
8 Gaines, S., R. Cabral, C. Free und Y. Golbuu (2019). The Expected Impacts of Climate Change on the Ocean Economy. World Resources Institute;
9 OECD, Niehörster und Murnane (2018), Deutsche Bank AG, Stand: 29. Oktiver 2020;
10 Sumaila, U.R., N. Ebrahim, A. Schuhbauer, D. Skerritt, Y. Li, H.S. Kim, T.G. Mallory, V.W.L. Lam und D. Pauly (2019). Updated estimates and analysis of global fisheries subsidies. Marine Policy 109, 103695;
11 https://www.nature.com/articles/s41545-019-0039-9#;
12 https://www.ubs.com/microsites/investing/en/stay-on-course/2016/growth-potential-global-ater-market.html
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Redaktionsschluss: 13.08.2021, 15:00 Uhr