14. Juli 2020
Lieferantenfinanzierung oder „Supply Chain Finance“ steht bei Knorr-Bremse hoch im Kurs. Nach mehr als zehn Jahren Erfolgsgeschichte war es laut Corporate Finance & Treasury Manager Pietro Solazzo nun an der Zeit, das Konzept substantiell weiterzuentwickeln. In diesem Artikel erhalten Sie Insights aus dem Roundtable anlässlich der 15. Structured Finance am 27.11.2019, an dem Pietro Solazzo von Knorr-Bremse gemeinsam mit Maria Henritzi, Produktspezialistin für Supply Chain Finance bei der Deutschen Bank, referiert hat.
Lieferantenfinanzierungsprogramm ist ein sperriger Begriff. „Supplier Early Payment Program“ (SEPP) ist nicht viel besser – vor allem, wenn man als global agierendes Unternehmen mit einer Vielzahl weltweiter wie regionaler Zulieferer spricht und versucht, sie dafür zu begeistern, an der hauseigenen Plattform teilzunehmen.
Der Knorr-Bremse Konzern aus München hat 2007, mit damals rund 3 Milliarden Euro Umsatz, als eines der ersten Unternehmen in Europa das „Supplier Early Payment Program“ eingeführt und damit eine Erfolgsgeschichte begonnen. Dreizehn Jahre später und mit inzwischen fast 7 Milliarden Euro Jahresumsatz (2019) sind vor allem weltweite strategische und wichtige Lieferanten praktisch vollständig angebunden. Sie können sich über SEPP ihre Rechnungen vorzeitig ausbezahlen lassen, müssen es aber nicht.
Der Weltmarktführer für Brems- und weitere Systeme für Schienen- und Nutzfahrzeuge ist bestrebt, seinen zahlreichen Lieferanten eine Finanzierung bereits zum Zeitpunkt des Auftragseingangs zu ermöglichen, um diese noch weiter vorne in der Wertschöpfungskette zu verankern.
Der Weltmarktführer für Brems- und weitere Systeme für Schienen- und Nutzfahrzeuge ist bestrebt, seinen zahlreichen Lieferanten eine Finanzierung bereits zum Zeitpunkt des Auftragseingangs zu ermöglichen, um diese noch weiter vorne in der Wertschöpfungskette zu verankern.
Knorr-Bremse hatte zahlreiche Anforderungen an die Plattform definiert, die der Konzern gemeinsam mit der Deutschen Bank entwickelt hat. Wichtig war dem Konzern etwa, dass sich die bilanzielle Qualität der Verbindlichkeiten nicht verändert. „Die Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung dürfen bilanziell keine Änderung hervorrufen“, sagte Pietro Solazzo in seinem Vortrag auf der „15. Structured FINANCE“ vor gut 100 Treasurern und Finanzvorständen.
Ziel für Knorr-Bremse war laut Solazzo, unter anderem Zahlungsziele zu vereinheitlichen und zu verlängern und das nicht auf Kosten der Lieferanten. Zudem wollten die Münchener die für das Unternehmen wichtigen Bilanzkennzahlen verbessern sowie generell das Working Capital reduzieren. „Wir wollten allerdings auch die finanzielle Stabilität dieser strategischen und wichtigen Lieferanten durch den Zugriff auf eine alternative Finanzierungsform erhöhen“, sagte Solazzo. Gerade im unmittelbaren Nachgang zur Finanzkrise 2008/09, als die Liquidität knapp gewesen sei, habe das Angebot für Lieferanten daher an Attraktivität gewonnen.
Doch wie funktioniert die Anbindung an das Lieferantenfinanzierungsprogramm ganz konkret? „Wichtig für Knorr-Bremse war und ist, dass die Lösung für unsere Lieferanten einfach und pragmatisch ist“, sagte Solazzo und fügte hinzu: „Unser Konzern sollte bei der technischen Implementierung weitgehend außen vor bleiben.“ So benennt Knorr-Bremse zwar diejenigen Zulieferer, die in das System aufgenommen werden sollen. Für das komplette Onboarding aber ist die Deutsche Bank zuständig. Denn SEPP ist mit deren globaler Supply-Chain-Finance-Plattform „db-ebills“ verknüpft. Die Rechnungen werden durch Knorr-Bremse geprüft, zur Zahlung freigegeben und automatisch in „db-ebills“ übertragen. Danach liegt es an der Bank, Lieferanten darüber zu informieren, dass sie sich – nur bei Bedarf und freiwillig – Rechnungen vorfristig auszahlen lassen können. Knorr-Bremse verhandelt ausschließlich seine Warenpreise. „Die Konditionen für eine eventuelle vorfristige Auszahlung vereinbaren wir individuell mit den Lieferanten“, sagte Maria Henritzi, die das Projekt von Seiten der Deutschen Bank von Beginn an begleitet hat. Die gesamte Abwicklung laufe dabei vollautomatisch. „Vieles, was heute von neuen Marktteilnehmern als besonders innovativ dargestellt wird, ist in unserem System seit vielen Jahren erprobte Praxis“, berichtete die Bankerin. Jetzt machen sich Knorr-Bremse und die Deutsche Bank daran, das System weiterzuentwickeln. In der Vorstellung von Pietro Solazzo rückt die Lieferantenfinanzierung in der Wertschöpfungs- und Auftragskette immer weiter nach vorne. „Warum sollte eine automatisierte Finanzierung für den Lieferanten erst nach Erhalt der Ware möglich sein – und nicht bereits bei Eingang eines bestätigten Auftrags durch Knorr-Bremse?“, fragte der Corporate Finance & Treasury Manager. „Viele Lieferanten benötigen genau dann Cash, wenn sie von uns einen Auftrag erhalten. Genau dann müssen sie benötigte Materialien einkaufen und die Produktion hochfahren.“ Ein zeitgemäßes Supply-Chain-Finance-Programm sollte daher bereits beim Auftragseingang greifen – und die Bonität von Knorr-Bremse bereits zu diesem Zeitpunkt für die Finanzierung des Lieferanten nutzbar machen.
Mehrere Banken, zu denen auch die Deutsche Bank zählt, haben sich zusammengeschlossen und das Trade Information Network (TIN) ins Leben gerufen. Das Ziel: einen neuen Industriestandard für die digitale und multibankfähige Handelsfinanzierung zu etablieren. Durch die Nutzung der Plattform soll es Unternehmen ermöglicht werden, Aufträge und Rechnungen zu einem früheren Zeitpunkt als bisher an die teilnehmenden Banken zu kommunizieren.
Die Ansätze sind längst mehr als nur theoretische Überlegungen. Das Trade Information Network (TIN), an dem neben der Deutschen Bank noch zahlreiche andere renommierte Kreditinstitute beteiligt sind, soll ein zentraler Informations-Hub
für die Lieferantenfinanzierung der Zukunft werden. „Bestellungen und Rechnungen zwischen Lieferanten und Kunden werden dafür zunächst wie bisher über bestehende Systeme und Kanäle ausgetauscht“, erklärte Maria Henritzi von der Deutschen Bank. „Relevante Informationen des Geschäfts werden anschließend in das Multi-Bank- Netzwerk übertragen.“
Auf dieser Basis können Lieferanten Finanzierungsanfragen an angeschlossene Banken und Investoren richten. Lieferanten behalten die volle Kontrolle über ihre sensiblen Daten, können aber bereits auf der Basis von Bestellungen Finanzierungen abschließen oder Finanzierungskonditionen vergleichen. Nebenbei möchte Knorr-Bremse das TIN perspektivisch als Overlay-Plattform nutzen, die als einzige Schnittstelle zum internen ERP-System fungiert. Denn Solazzo möchte vermeiden, für jede aktuell oder künftig am Markt operierende Plattform eine eigene Schnittstelle programmieren zu müssen, und gleichzeitig den Status jeder einzelnen Plattform im Blick haben.
Dass neue Wege in der Lieferantenfinanzierung möglich und auch nötig sind, ist für Solazzo keine Frage. Nach zehn Jahren mit starkem Wirtschaftswachstum und notenbankgetriebenem Liquiditätsangebot häuften sich in jüngster Zeit wieder die Anfragen nach alternativen Finanzierungslösungen, beobachtet der Corporate Finance & Treasury Manager: „Wir sind darauf vorbereitet, unsere Lieferanten in Krisenzeiten, wie jetzt mit Covid-19, bestmöglich zu unterstützen.“ Umgekehrt biete die Digitalisierung immer neue Möglichkeiten, die bislang vor allem auf der Produktseite und in Testphasen realisiert würden – es sei an der Zeit, auch in der Finanzabteilung die damit verbundenen Chancen zu ergreifen. Mit SEPP hat Knorr-Bremse schon einmal bewiesen, dass der Konzern bei innovativen Treasury-Lösungen eine führende Rolle spielen kann. Bei der „Structured FINANCE“ hat Pietro Solazzo diesen Anspruch auch für die Zukunft bekräftigt.