Wenn Unternehmen Straftaten begehen, soll das drastischere Folgen haben als bisher. Das sieht der Gesetzentwurf für ein sogenanntes Verbandssanktionsrecht vor. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Mit der Einführung eines sogenannten Verbandssanktionsgesetzes sollen die Defizite bei der „Bestrafung“ von Unternehmen in Deutschland ausgeräumt und ein international wettbewerbsfähiges Unternehmensstrafrecht etabliert werden. Foto: adobe stock
Nach geltendem Recht können sich in Deutschland nur Menschen, also natürliche Personen, nicht aber Unternehmen schuldig machen. Mit diesem Schuldbegriff steht Deutschland im internationalen Vergleich recht isoliert da. Zudem liegt die Ahndung unternehmensbezogener Straftaten nach geltendem Recht im Ermessen der Strafverfolgungsbehörden – bei schweren Straftaten von Führungskräften können diese gegen das Unternehmen ermitteln, müssen es aber nicht. Kleine und mittlere Unternehmen, so ein weiterer Kritikpunkt, sind nach geltendem Recht gegenüber Großkonzernen benachteiligt, weil die maximale Strafhöhe, unabhängig von der Unternehmensgröße, auf 10 Millionen Euro gedeckelt ist. Eine angemessene Reaktion auf Unternehmenskriminalität, so der Vorwurf, sei so nicht möglich.
Mit der Einführung eines sogenannten Verbandssanktionsgesetzes (VerSanG) sollen die Defizite bei der „Bestrafung“ von Unternehmen ausgeräumt und ein international wettbewerbsfähiges Unternehmensstrafrecht etabliert werden. Im Wesentlichen geht es um drei Punkte bei der geplanten Neuregelung: Die Staatsanwaltschaften sollen künftig immer ermitteln, wenn der Verdacht besteht, dass in einem Unternehmen Straftaten begangen wurden. Bisher gab es hier ein Ermessen. Unternehmen sollen nur dann bestraft werden, wenn sie nichts getan haben, um Straftaten zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Und sie können ihre Strafe mildern, wenn sie zur Aufklärung der Straftat mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten.
Anknüpfungspunkt für eine Strafverfolgung ist die sogenannte „Verbandstat“ – eine von Leitungspersonen (insbesondere Geschäftsführer, Vorstand oder vertretungsberechtigte Gesellschafter) begangene Straftat, durch die das Unternehmen treffende Pflichten verletzt worden sind oder durch die das Unternehmen bereichert worden ist oder bereichert werden sollte. Eine Verbandstat kann jedwede Straftat sein – es gibt keine Beschränkung beispielsweise auf Vermögens- und Steuerdelikte.
Das VerSanG soll für Unternehmen jedweder Größenklasse und Gesellschaftsform gelten – angefangen vom Start-up über einen Fünf-Mann-Betrieb und ein mittelständisches Familienunternehmen bis hin zu Großkonzernen. Es soll auch für Verbände und Stiftungen angewendet werden, wenn deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.
Bislang werden in Deutschland unternehmensbezogene Straftaten nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) sanktioniert. Der zurzeit mögliche Bußgeldrahmen liegt bei maximal 10 Millionen Euro bei Vorsatz und bei maximal 5 Millionen Euro bei Fahrlässigkeit. Darüber hinaus sind Gewinnabschöpfungen möglich, das heißt, der Staat kann den vom Unternehmen erwirtschafteten Gewinn aus der Tat einziehen. Dadurch kann ein Vielfaches der Bußgeldhöchstgrenze von 10 Millionen Euro abgeschöpft werden. Das gegen VW im Dieselskandal verhängte Bußgeld von 1 Milliarde Euro beispielsweise setzt sich zusammen aus einer Ahndung der Ordnungswidrigkeit, die das OWiG für die fahrlässige Verletzung von Aufsichtspflichten vorsieht, in Höhe von 5 Millionen Euro und einer Abschöpfung in Höhe von 995 Millionen Euro. Im Unterschied zum Strafrecht gilt im Ordnungswidrigkeitenrecht keine Pflicht zur Ahndung. Es gilt der Grundsatz der Opportunität.
Ein eigenständiges Unternehmensstrafrecht ist mittlerweile internationaler Standard. Neben den USA haben 21 von 28 EU-Mitgliedsstaaten und mehr als die Hälfte der OECD-Staaten ein Unternehmensstrafrecht.
Bei Vorsatz sieht das VerSanG Geldsanktionen von mindestens 1.000 Euro und höchstens 10 Millionen Euro vor; bei Fahrlässigkeit mindestens 500 Euro und höchstens 5 Millionen Euro. Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro müssen mit deutlich härteren Sanktionen rechnen. Hier liegen die Strafen bei Vorsatz bei mindestens 10.000 Euro und höchstens 10 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes. Bei Fahrlässigkeit sind es mindestes 5.000 Euro und höchstens 5 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes.
Ja. Neben Geldsanktionen kann das Gericht anordnen, die Verurteilung des Unternehmens öffentlich bekanntzumachen. Dieser Pranger kann angeordnet werden, wenn durch das Fehlverhalten eine große Anzahl von Personen geschädigt wurde. Das in der ersten Fassung des Gesetzesentwurfs noch vorgesehene Strafmaß einer zwangsweisen Auflösung des Unternehmens ist verworfen worden.
Nur noch die Hälfte soll ein Unternehmen zahlen müssen, wenn es dazu beiträgt, dass die Tat aufgeklärt werden kann. Zudem soll dann auch das Mindeststrafmaß entfallen. Doch dafür muss das Unternehmen unter anderem „ununterbrochen und uneingeschränkt“ kooperieren. Kritiker sprechen von einem Unterwerfungsstrafrecht, da das Unternehmen zu seiner eigenen Bestrafung beitragen muss. Das aber widerspreche dem Grundsatz jeden Strafprozesses, nach dem niemand verpflichtet sei, sich selbst zu belasten. Darüber hinaus muss das Unternehmen den Strafverfolgungsbehörden sämtliche Ergebnisse und Dokumente übergeben, die im Rahmen
interner Ermittlungen erhoben wurden.
Das Gesetzesvorhaben ist von CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Der Entwurf des Bundesjustizministeriums wurde im September 2020 vom Rechts- und Wirtschaftsausschuss des Bundesrats aber zunächst abgelehnt. In einer Stellungnahme drängte die Länderkammer auf Änderungen in verschiedenen Einzelfragen. Aktuell liegt der Entwurf wieder beim Bundesjustizministerium. Strafrechtsexperten gehen davon aus, dass das Gesetz in seiner jetzigen Form keine Chance auf Verabschiedung hat.
Compliance, also die Einhaltung von Regeln und Normen, wird mit der Einführung eines Unternehmensstrafrechts immer wichtiger. Die Schaffung entsprechender Strukturen, mit denen sichergestellt werden soll, dass es nicht zu Verstößen kommt, und wenn doch, dass diese dann zeitnah aufgeklärt werden, ist denn auch explizit Ziel des VerSanG. Das Problem: Der Gesetzesentwurf benennt keine konkreten Compliance-Maßnahmen und -Mindeststandards. Die mögliche Lösung: Ein gutes Compliance-System beginnt mit einer Risikoanalyse und -bewertung und darauf aufbauend einer individuellen Einführung oder Überarbeitung des Compliance-Management-Systems. Die Einführung von Compliance-Maßnahmen und -Management-Systemen ist auch deshalb notwendig, da sie sich bei der Strafzumessung positiv auswirken.
Unternehmen sollten sich auf interne Untersuchungen einstellen. Das heißt unter anderem, die Rahmenbedingungen rechtzeitig mit den Arbeitnehmervertretern verhandeln, um unverzüglich handlungsfähig zu sein. Im Detail können das Richtlinien und/oder Betriebsvereinbarungen beispielsweise zum Ablauf einer internen Untersuchung sein. Da Sanktionen auch gegen den Rechtsnachfolger ausgesprochen werden können, sollte bei Unternehmensübernahmen zudem eine gründliche strafrechtliche Due Diligence erfolgen. Geklärt werden sollten ferner die Möglichkeiten der Unternehmensverteidigung, etwa die Einbindung eines Unternehmensverteidigers bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen.
07/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Andreas Knoch. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.